Freitag, 27. November 2009

Eine Geschichte von Leben und Tod

Es gibt einen Mann, oder vielleicht auch, es gab einen Mann, der früher, das ist schon einige Jahre her, regelmäßig zu uns in die Bücherei kam. Ein hagerer Mann mit einem harten Gesicht. Noch viel früher war er obdachlos, aber er hat die Kurve geschafft. Zum damaligen Zeitpunkt war er nicht mehr obdachlos. Ich konnte ihn immer gut leiden, damals. Er war intelligent und ein interessanter Gesprächspartner. Irgendwann kam er dann plötzlich nicht mehr. Hin und wieder habe ich ihn noch in der Stadt getroffen, dann habe ich ihn lange Zeit nicht mehr gesehen.
Vor einiger Zeit war in der Zeitung eine Todesanzeige. Der Name dieses Mannes, unterzeichnet mit "Deine Freunde". So alt war er doch noch gar nicht, habe ich mir gedacht. Und wie das so ist in solchen Fällen, einen Stich hat es mir gegeben. Da denkt man sich so banale Sachen, wieder einer weniger, das ist der Lauf der Dinge, solches Zeug. Man ruft sich die Person in Erinnerung, ganz deutlich hatte ich plötzlich sein Bild vor Augen, obwohl ich ihn lange nicht mehr gesehen hatte. Halbleises Bedauern.
Und dann, zwei Wochen später, habe ich ein Gespenst gesehen. Da ist mir dieser Mann in der Stadt über den Weg gelaufen. Richtig erschrocken bin ich zuerst, habe an eine Sinnestäuschung gedacht, bis ich erkannt habe, dass er es wirklich ist, und zwar lebendig. Ich muss sagen, gefreut hat mich das schon. Habe ihn angegrinst und gesagt: "Ich habe geglaubt, du bist tot." Da hat er zurückgegrinst, sein schmales, schiefes Grinsen und gemeint, das hätten mehr Leute geglaubt. Tatsächlich war er im Krankenhaus, eine ernste Sache, und auf irgendeine Weise hat sich das Gerücht verbreitet, er wäre gestorben. Und dann hätten seine Obdachlosenfreunde das Bedürfnis verspürt, ihn zu würdigen. Geld wurde gesammelt unter den Bettlern, den Verkäufern der Straßenzeitung, unter Suppenküchengästen und Suppenküchenpersonal, in der Notschlafstelle und was weiß ich wo überall. Es kam eine Summe zusammen, die es ermöglichte, eine Anzeige in die Zeitung zu setzen. Groß war sie nicht, Generaldirektoren bekommen größere Anzeigen, aber ich habe sie gesehen. Und jetzt, wo ich diese Geschichte kenne, denke ich mir, dieser Mann kann sich glücklich schätzen, solche Freunde zu haben.

13 Kommentare:

  1. Und was auch positiv ist: Totgeglaubte werden bekanntlich besonders alt...

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  2. Was soll man zu dieser Geschichte sagen. Wie man sieht, es gibt tatsächlich noch richtige Freunde. Ich finde diese Geschichte sehr interessant. Was sagen wir dazu - was es alles gibt -.
    Liebe Grüße von der
    Romy....

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  3. Eine Geschichte mit Gänsehautfaktor im positiven Sinne.
    Liebe Grüße, Coco

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  4. oh, was für eine schöne geschichte! hat mich irgendwie berührt, lg

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  5. Es ist bereits alles gesagt worden, was ich zu diesem Erlebnis auch schreiben wollte...

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  6. A friend is someone who understands your past, believes in your future, and accepts you just the way you are.”

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  7. Wow, das sind wirkliche Freunde

    Wie ich das so gelesen haben, steigt in mir die Frage auf, ob für mich auch jemand sone Anzeige schalten würde. Außer meinen Eltern meine ich. Ich glaube, ich würde unbeachtet in der Versenkung verschwinden, denke ich.

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  8. Hallo Margot,

    wow, was für eine Geschichte. Und ich gab dir recht, toll solche Freunde zu haben. Das wird er sicher auch zu schätzen gewusst haben.
    Liebe Grüße,

    Steffi

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  9. Das glaube ich Dir, dass Du Dich gefreut hast, den alten Herrn wieder zu sehen. Das zeigt auch wieder einmal, dass einfache Leute viel mehr zusammenhalten. Zu viel Reichtum verdirbt den Charakter. Hoffen wir, dass er noch lange lebt!!
    Liebe Grüße
    Joachim

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  10. Dass er noch lange lebt, das hoffe ich auch. Aber man weiß es ja nicht vorher.
    Ghost, die wenigsten von uns würden so viel Aufmerksamkeit bekommen. Da bin ich mir ziemlich sicher.
    Liebe Grüße euch allen und danke dafür, dass ihr diese Geschichte ähnlich aufgefasst habt wie ich.

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  11. Liebe Margot!

    Deine Geschichte hört sich wirklich ein wenig gruselig an, aber...das Leben schreibt immer noch die verrücktesten Drehbücher!

    Wünsche Dir einen enstpannten Sonntag! LG Anna

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  12. Freunde sind es die uns tragen. Ich möchte nicht ohne sie sein. Allein das warme vertraute geborgene Gefühl das sie mir vermitteln - egal was kommt "WIR sind da." Schöne Geschichte und hoffe sie wiederholt sich noch ganz oft.Meine Tochter kommt nun heute zu Besuch- sie hat noch Urlaub und Überstundenausgleich. Ihre neue A-Stelle beginnt im Januar. Sie hat Zeit und kommt - eine ganze Woche allein zu uns. DAS ist ein Geschenk und das weihnachtliche Gefühl... die Stimmung kommt mit ihr.Ich bin sehr dankbar sie wieder mal länger hier zu haben. Das gibt so ein komplettes Familiengefühl - wir vier Sigls.;-)))))) liebe Grüße Manuela

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  13. Liebe Anna, ja, gruselig war es erst schon, aber dann auch wieder schön.
    Liebe Einsersigl, ich wünsche dir eine wunderschöne Zeit mit deinen anderen Sigls, und dein weihnachtliches Gefühl gönne ich dir natürlich von Herzen. Heute freier Tag, dann wieder Stress total. Zusätzlich zur Weihnachtshektik habe ich auch noch den Jahresabschluss vor mir, das heißt dreimal so viel Arbeit und täglich ausgepowert, dazwischen ein paar weihnachtliche Termine reinpressen, Hetze von morgens bis abends. Bin froh, wenn diese Zeit vorbei ist. Besinnlichkit ist erst danach möglich.
    Liebe Grüße von Margot

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Ich freue mich, dass ihr bis hierher gelesen habt und freue mich noch mehr, wenn ihr eure Meinung dazu sagt.