Samstag, 5. September 2009

Eine kleine Geschichte

Als ich sie das erste Mal getroffen habe, wie viele Jahre das jetzt her ist, weiß ich nicht mehr genau, war sie zwölf Jahre alt. Ihr Name hat hier nichts verloren. Sie sah aus wie 7, klein und erschreckend dünn, mit riesengroßen Augen in einem winzigkleinen Mausgesicht. Sehr ernst sah sie aus damals, sicherlich hatte sie auch einen guten Grund dafür. Ihr ganzer Oberkörper war eingegipst, ein Arm auch, der war fest an den Körper gebunden. Unter ihren ganzen Verbänden war sie vermutlich noch viel dünner, als es den Anschein machte.
Über den Grund für ihre Verletzungen konnte ich sie nicht fragen, sie sprach kaum ein Wort Deutsch. Ihre Familie oder was davon übrig geblieben war, war kurz vorher von Tschetschenien nach Österreich gekommen. Es war auf jeden Fall noch bevor Österreich das strengste Fremdenrecht von ganz Europa eingeführt hat, das es vielen Menschen gar nicht erst erlaubt, um Asyl anzusuchen. Inzwischen hat Italien glaube ich nachgezogen, Österreich steht nicht mehr allein da mit seiner abweisenden Haltung.
Dieses Mädchen kam dann regelmäßig in die Bücherei. Nie entkam ihr ein Lächeln, aber sie kam immer wieder, auch dann noch, als der Verband verschwunden war. Irgendwann hörten ihre Besuche plötzlich auf.
Warum ich jetzt darauf komme? Weil ich sie wieder getroffen habe diese Woche. Klein ist sie immer noch, aber nicht mehr ganz so dünn wie damals. Fast schon eine junge Frau, nicht ganz. Ihre geringe Körpergröße versucht sie mit hohen Absätzen wettzumachen, farbenfrohe Kleidung trägt sie jetzt, und das Wichtigste: Sie lacht. Darüber habe ich mich gefreut.

7 Kommentare:

  1. Hat sie Dich wiederekannt?
    Mein Gott - das berührt mich sehr tief.
    Und ich hoffe, ihr Lachen kommt von Innen....

    AntwortenLöschen
  2. Ja, man weiß natürlich nicht, was das Mädchen in so jungen Jahren schon alles erlebt hat. Margot, das ist jetzt wieder so eine Geschichte, wo ich eine Gänsehaut bekomme und mir schlagartig einfällt, das ich auf der Sonnenseite lebe. Och, ich denke mal das Deutschland auch nicht mehr lange Asylfreundlich ist, jedenfalls nicht, wenn wir noch lange einen Schäuble mit Verfolgungswahn in der Regierung haben, ich wünsche Dir einen schönen Samstag, lieber Gruß Regina

    AntwortenLöschen
  3. Schön, dass Du solch ein Mitgefühl mit dem tschetschenischen Mädchen hattest, das jetzt wohl schon eine junge Frau ist. Und wie mir scheint, hat sie auch bei euch ihre Heimat gefunden.
    Liebe Grüße
    Joachim

    AntwortenLöschen
  4. Mo, ja, erkannt hat sie mich. Es war beim Warten auf den Bus, sie war mit einer Freundin unterwegs, und ihr Lachen sah sehr echt aus.
    Regina, auf der Sonnenseite leben wir ganz sicher. Immer wieder bin ich froh darüber. Was mich aber immer wieder betroffen macht, das ist, dass es den Menschen hier in Mitteleuropa anscheinend völlig egal ist, was so beschlossen wird. Die niedrige Wahlbeteiligung bei wichtigen Wahlen ist ein Indiz dafür. Und immer wieder halte ich mir vor Augen, dass jedes Gesetz, das beschlossen wird, ganz konkrete Auswirkungen auf sehr reale Menschen hat.
    Joachim, so wie die Lage in Tschetschenien ist, hoffe ich sehr, dass sie eine neue Heimat gefunden hat. Einen Ort, an dem sie sicher ist.
    Liebe Grüße von Margot

    AntwortenLöschen
  5. Stimmt Margot, alles was an Gesetzen beschlossen wird, hat Auswirkung auf das Leben bestimmter Menschen, aber es scheint den meisten Menschen egal zu seit, frei nach dem Motto "Was geht mich das an, Hauptsache mir geht es gut" traurig aber wahr, lieber Gruß Regina

    AntwortenLöschen
  6. Liebe Magot, so warm und herzlich deine Geschichte.Ich wußte es ja schon das du ein ganz aufmerksamer warmherziger Mensch bist und - Menschen ernsthaft wahrnimmst. Ander wie andere , intensiver und mit Bedacht.Wie oft gehen wir an Menschen vorbei und sehen es nicht, wollen es nicht sehen.
    Eine berührende Geschichte des Lebens.Den "sichern Ort" brauchen wir alle, vor allem in uns.

    AntwortenLöschen
  7. Jetzt bin ich schon sehr spät dran mit meinen Antworten, hat sich leider so ergeben.
    Regina, es freut mich, dass du das auch so siehst. Das Wegschauen, fürs Gewissen ist es nicht gut, und manchmal, wenn ich meine renitenten Phasen habe, denke ich mir sogar, vom Wegschauen verblödet man. Aber das ist jetzt eine böse Theorie, die ich nicht beweisen kann.
    Manuela, ich bin gar kein besonderer Mensch, das muss ich dementieren. Was ich sehe, ist meistens offensichtlich für alle.
    Liebe Grüße von Margot

    AntwortenLöschen

Ich freue mich, dass ihr bis hierher gelesen habt und freue mich noch mehr, wenn ihr eure Meinung dazu sagt.